Intravenöse dentale Sedierung – neue Wirkstoffe in Sicht?

Dr. Dr. Wolfgang Jakobs und Dr. Frank G. Mathers mit aktuellem Überblick zu geeigneten Wirkstoffen für die Zahnmedizin.

28. April 2014 (DZW 18/14)  – Nicht nur in der Zahnmedizin steigt der Bedarf an Sedierungsleistungen, die vom primär behandelnden Arzt ohne Anästhesisten durchgeführt werden können (sogenannte Operator Sedation), kontinuierlich an (Krauss and Green, 2006). Neben Zahnärzten suchen zum Beispiel Notfallmediziner, Gynäkologen, Kinderärzte und Gastroenterologen nach Pharmaka, um ihre Patienten angstfrei und ohne Schmerzen zu behandeln. Dabei steht natürlich die Sicherheit des Patienten im Vordergrund.

 

Die Verfügbarkeit von kurz wirkenden Sedativa zur Anxiolyse und neue, schnell abklingende Opiate zur Analgesie haben die Ausbreitung der zahnärztlich geleiteten intravenösen Sedierung begüns­tigt. Kommerziell verfügbare, spezifisch wirkende Benzodiaze­pinrezeptorantagonisten (Fluma­zenil, Anexate) und Antagonisten für Opiate (Naloxon, Narcanti) erhöhen die Sicherheit und befinden sich nunmehr im Notfall­arsenal eines jeden Zahnarztes, der eigenständig Sedierungen durchführt. Kostengünstige Überwachungsgeräte, die vor wenigen Jahren nur in Universitätskliniken vorstellbar gewesen wären, ermög­lichen dem Zahnarzt heute die Ausstattung mit dem für „Operator Sedation“ empfohlenen appa­rativen und instrumentellen Equipment, das sich nicht unterscheidet von anderen medizinischen Disziplinen (Tanaka et al., 2014).

 

Jeder Patient reagiert anders auf psychoaktive Pharmaka, und die Sedierung ist ein zusätzlicher medizinischer Eingriff mit eigenen Risikofaktoren neben den potenziellen Problemen durch die zahnärztliche Behandlung selbst. Umso mehr ist die kompetente Ausbildung des Zahnarztes und des Assistenzpersonals von großer Bedeutung. So hat die ::: Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Pharmakologie in der ZMK-Heilkunde (DGfdS) verbindliche Eckpunkte gesetzt zur Lachgassedierung, und der Berufsverband Deutscher Oralchirurgen (BDO) arbeitet seit vielen Jahren in der qualifizierten Ausbildung von Zahnärzten in Verfahren der intravenösen Sedierung.

 

Definition der Sedierung

 

Sedierung wird definiert als Maßnahme, bei der ein oder mehrere Medikamente angewendet werden, um das zentrale Nervensystem zu dämpfen und somit das Bewusstsein des Patienten für seine Umgebung zu reduzieren. Je nach Tiefe der Sedierung werden verschiedene Stadien beschrieben:
•  Bei der minimalen Sedierung ist die Wahrnehmung leicht getrübt, der Patient ist aber wach, ansprechbar, ohne Einschränkungen der Vitalfunktionen.
• Im Stadium der moderaten Sedierung ist der Patient schläfrig, die Wahrnehmung ist getrübt, Reaktionen sind verlangsamt, der Patient ist aber jederzeit ansprechbar. Reflexe, Spontanatmung und die kardiovaskuläre Situation bleiben weitgehend unverändert.
• Bei der tiefen Sedierung ist der Patient meist regungslos, und die Vitalfunktionen, insbesondere die Atmung, können kompromittiert sein. Der Behandler muss in der Lage sein, den Patienten unter Umständen künstlich zu beatmen (nach europäischen Standards keine „Operator Sedation“).
• Die tiefste Art der „Sedierung“ ist die Vollnarkose, wobei Bewusstsein und Schmerzwahrnehmung aufgehoben sind. Der Patient atmet nicht ausreichend und muss, meist per endotrachealer Intubation, künstlich vom Anästhesisten beatmet werden. Häufig treten kardiovaskuläre Instabilitäten auf, die entsprechend behandelt werden müssen.

 

In der Zahnmedizin wird die minimale Sedierung durch die Anwendung von Lachgas bis zu einer Konzentration von 70 Prozent und korrespondierendem Sauerstoffanteil von 30 Prozent durchgeführt. Nach besonderer Ausbil­dung können Zahnärzte orale Sedativa allein und in Kombination mit Lachgas einsetzen, um eine moderate Sedierung zu erreichen (Goodchild and Donaldson, 2011). Zielgenauer kann der Zahnarzt nach qualifizierter Ausbildung die moderate Sedierung durch den Einsatz von intravenösen Sedativa durchführen (Schwamburger et al., 2012).

 

 Die Grenzen zwischen den verschiedenen Stadien der Sedierung sind fließend, und der Zahnarzt muss jederzeit in der Lage sein, eine unbeabsichtigt tiefere Sedierung fachgerecht zu managen. Entscheidend dabei sind die erstklassige Ausbildung des medizinischen Personals und die technische Ausstattung der Praxis und die entsprechende Auswahl der Patienten. Hochrisikopatienten sind nicht nach den Standards der „Operator Sedation“ zu therapieren (Jakobs, W. 2012).

 

Neue Entwicklung in der zahnärztlichen intravenösen Sedierung

 

Das wesentliche Ziel der Sedierung in der Zahnmedizin ist die Angstreduktion und damit einhergehend die verbesserte Kooperationsfähigkeit des Patienten. Die in anderen medizinischen Disziplinen oft gewünschte Analgesie wird zahnärztlich durch Lokalanästhetika erreicht, womit die intravenöse Gabe eines Analgeti­kums in Form von Morphinderivaten meist entfällt.

 

Midazolam: Am häufigsten wird in der Zahnmedizin Midazolam eingesetzt. Im Vordergrund stehen hierbei die oft eintretende Amnesie, die große therapeutische Breite sowie die gute Steuerbarkeit und die Verfügbarkeit eines Antagonisten, um bei Bedarf die Wirkung rasch aufzuheben. Nachteilig sind die langsame Anflutung und lange Wirkdauer, die eine längere Überwachung nach der Behandlung nach sich ziehen kann.

 

Propofol: Propofol ist ein Hypnotikum, das in niedrigen Dosen zur Sedierung und in höheren Dosen zur Einleitung und/oder Aufrechterhaltung einer Vollnarkose eingesetzt wird. Dem schnellen Wirkungseintritt, der kurzen Wirkdauer und Amnesie steht die gelegentlich eintretende Ateminsuffizienz gegenüber. Diese potenziell lebensbedrohliche Komplikation hat in Europa eine kontroverse Diskussion über die Anwendung von Propofol durch Nicht-Anästhesisten entfacht. Einerseits gibt die European Society of Gastrointestinal Endoscopy Leitlinien heraus für die Propofolanwendung durch Internis­ten. Andererseits verfassen daraufhin 21 nationale europäische Anästhesiegesellschaften eine Entschließung gegen die Applikation von Propofol durch Nicht-Anästhesisten. Neuere Untersuchungen aus der Zahnmedizin zeigen keine Ateminsuffizienz, sofern die Methode durch gut ausgebildete Zahnärzte angewendet wird (Viljoen et al., 2011).

 

Fospropofol: Auf der Suche nach einem Pharmakon, das die Vorteile von Midazolam und Propofol vereint, ohne die Nachteile wie insbesondere die Ateminsuffizienz zu zeigen, wurde Fospropofol entwickelt. Fospropofol ist ein sogenannter Pro-Drug von Propofol, das heißt, erst durch eine chemische Umwandlung im Plasma entsteht der wirksame Metabolit Propofol. Dies führt zu einem langsameren Wirkungseintritt mit einer nur sehr geringen Wahrscheinlichkeit für die gefürch­tete Ateminsuffizienz.

 

Beim direkten Vergleich von Midazolam und Fospropofol konnte in einer kürzlich publizierten Stu­­die gezeigt werden, dass Fos­pro­po­fol schneller effektive Wirkspie­gel erreicht und schneller ab­ge­baut wird als Midazolam (Yen et al., 2013). Die bessere Steuerbar­keit führt zu einer rascheren Erho­lung und früheren Entlassung des Pati­enten im Vergleich zu Midazo­lam.

 

Nachteilig kann ein unangenehmer akut auftretender Juckreiz im Bereich des Perineums sein, dessen Ursache unbekannt ist und auch bei der intravenösen Gabe von Dexamethazon auftritt. Häufig treten Parästhesien auf, eine anterograde Amnesie zeigen Patienten weniger häufig als nach Midazolam.

 

Fazit: Zurzeit ist Midazolam das Mittel der Wahl zur zahnärztlich geleiteten intravenösen Sedierung. Propofol, ein ebenfalls geeignetes Sedativum, wird weltweit zunehmend auch in der Zahnmedizin eingesetzt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit politische Widerstände seitens der europäischen An­ästhesiegesellschaften diese Entwicklung beeinflussen. Die im August 2011 erschienene Empfehlung europäischer anästhesiologischer Gesellschaften zur Anwendung von Propofol nur durch in der Allgemeinanästhesie Erfahrene entspricht nicht der wissenschaftlichen Evidenzlage zur Verwendung von Propofol zur „Operator Sedation“.

 

Fospropofol, das bisher in Deutschland noch nicht verfügbar ist, kann das Spektrum der intravenösen Sedativa in der Zahnmedizin sinnvoll erweitern. Studien belegen, dass in Abwägung aller Faktoren Zahnärzte mit Fos­pro­po­fol zufriedener waren als mit Midazolam. Die praktisch fehlende Ateminsuffizienz bei Fos­propofol geht allerdings nicht einher mit einer von Zahnärzten sehr geschätzten und bei Midazolam ausgeprägten anterograden Amnesie, sodass die neue Substanz eher komplementär eingesetzt werden wird, ohne das Midazolam obsolet werden zu lassen.